Hintergrund: Am Dienstag abend hatten die Kastenwesen nach zu wenig Schlaf, zu vielen Produktionen und zu wenig Zeit ein echtes Kreativloch. Dann kehrten wir bei Hartmut und Lothar im FLEXX ein. Und tankten auf. Das lag nicht nur an dem hervorragenden Essen, sondern vor Allem an der unglaublich angenehmen Stimmung, in die unsere Gastegeber uns eintauchen ließen. Kurz gesagt: Wir lernten, was es heißt, mal kurz richtig geFLEXXt zu sein.
Ich möchte eine wahre Geschichte erzählen.
Sie trägt einen einfachen Titel, den man sich gut merken kann.
Er hat nur fünf Buchstaben.
Aber man kann ihn nicht definieren und nur schlecht erklären.
Ich möchte eine wahre Geschichte erzählen. Frankfurt am Main, zweiundvierzigster Stock. Den Namen des Restaurants nenne ich nicht. Von hier oben hat die Stadt eine geometrische Ordnung. Lichterkolonnen ordnen sich wie Perlenschnüre, akurakt aufgereiht wie die Tischdeko vor mir. Akurat aufgereiht wie die drei Kellner vor mir, die hier aber Garçons heißen. Ich will etwas bestellen und gehe im Kopf die Zahl der Fauxpasse durch, die eine Unachtsamkeit hier erdrutschartig lostreten könnte: Eine leichtfertige Wein-Vokabel, die mich als Fremdkörper identifiziert. Der richtige Griff zum falschen Besteck. Der falsche Griff zum richtigen Besteck. Denk jetzt bloß nicht über Deine Krawatte nach. Du bist vorbereitet. Du bist ausgebildet. Du hast dafür trainiert. Die Klimaanlage surrt leise vor sich hin. Keiner hat das Jacket ausgezogen. Von irgendwo gedämpfte Laute eines New & Lingwood’s Russian Calf Schuhs, der auf roten Samt tritt. Ich öffne den Mund und bestelle. Château Lynch-Bages, Jahrgang 2009. Worte, akurat aufgereiht wie Perlenschnüre. Der Kellner hebt eine Augenbraue. Der Kellner. Ich habe Kellner gesagt. Das heißt hier Garçons. Auf dem Weg zur Toilette kurzes Durchatmen. Schweiß abtupfen. Nicht einmal mein Schweiß ist geordnet. Plötzlich fällt mir ein Wort ein, das ich irgendwann mal gehört hatte. Ich glaube, es war in Bad Gandersheim. Es klingt so richtig, wie alles hier falsch klingt. Es klingt so richtig, wie das, was ich tun sollte. Es klingt… mir noch lange im Ohr, als ich mit einer Flasche Wein die erste Sternschnuppe über der Mainuferwiese sehe. Ich schenke mir selbst nach. Ob mich das zu einem Kellner mach, weiß ich nicht. Der Wein heißt hier einfach Rotwein. Und das Wort in meinem Kopf einfach FLEXX. Und beides tut irgendwie wohl.
Ich möchte eine wahre Geschichte erzählen. Das Jahr ist 2084. Die Mauern und Hochleitungs-Trassen einer perfekten Welt türmen sich Wall um Wall gen Himmel. Zyklus um Zyklus gehen wir zur Arbeit, nach Hause, zur Arbeit. Wir haben den Krieg überwunden. Wir haben die Armut überwunden. Wir haben das Irrationale überwunden. Wir haben das Sinnfreie überwunden. Präzise wie ein windungsfreies Uhrwerk. Aber etwas ist anders.
Es ist das Jahr 2084. Vor einigen Zyklen schlich sich ein leiser Missklang in die Motoren. Es begann mit einem Grafitti. Es begann damit, dass einige Menschennummern ihre optimierte Speisezeit um etliche Miniten überschritten. Andere legten ihre Arbeit für mehrere Augenblicke unvermittelt nieder. Im Norden von Distrikt 17 sollen Nummern gesehen worden sein, die sich in halbvertikaler Haltung der Sonne aussetzten und über längere Zeiteinheiten hinweg… nichts taten. Es bagann mit diesem Grafitti. Sie sprühen es auf Wände. Sie malen es auf Amtsmitteilungen. Sie hinterlassen es sogar auf beschlagenen Scheiben, wo es langsam wieder verblasst. Manchmal aber sieht es einer, und manchmal zieht es einer davon sogar mit einem behandschuhten Finger nach. Oder er zieht den Handschuh aus, um die Sonne zu spüren. Keiner weiß was es bedeutet. Es kündigt uns etwas an. Ich habe mich heute dabei ertappt, zu lächeln. FLEXX.
Dies ist eine wahre Geschichte. Ich bin müde, ich bin ausgelaugt. Ich habe ein Kreativloch. Am Dienstag Abend, den 12. Juli 2013 gegen 20 Uhr, lerne ich ein neues Wort kennen. Es hat nur fünf Buchstaben.
Aber man kann es nicht definieren und nur schlecht erklären.
Vielleicht macht das aber auch gar nichts.
Wir sollten das alles etwas geFLEXXter angehen. Viel öfter.